Angelika Ungerer berichtet im folgenden über ihre Erfahrungen als Hauspatin für die Flüchtlingsunterkunft im Riedweg. Sie blickt auf eine erlebnisreiche Zeit in dieser Funktion seit der Ankunft der Flüchtlinge in Bad Vilbel zurück:
„Begonnen hat alles damit, dass ich neugierig auf die Menschen war, die da zu uns kamen. Ich wollte sie kennen lernen und mir ein eigenes Bild machen. So habe ich mich im Sommeranfang 2015 bei Frau Förster gemeldet, die als Koordinatorin der Stadt Bad Vilbel zu diesem Zeitpunkt Ehrenamtliche für Deutschkurse gesucht hat. Zu dem Deutschkurs mit 10 Äthiopiern kam bald der Aufruf, Hauspaten für die neu gestaltete Hallenbelegung im Georg-Muth-Haus zu finden. Und so habe ich dort meine ersten Erfahrungen als Hauspatin gesammelt.
Im September 2015 kamen die ersten Bewohner. Hauptsächlich allein reisende Männer aus Syrien. Mit großen Augen hat man sich bestaunt, und sie machten auf mich einen scheuen, zurückhaltenden und auch sehr dankbaren Eindruck. Es folgten Männer aus Afghanistan, Algerien, Irak und Iran. In einer großen Unterkunft ist es immer schwierig, jedem gerecht zu werden. Zumal die Gegebenheiten im Georg-Muth-Haus nicht optimal waren. Es ist nun mal keine Unterkunft, die für Wohnzwecke geeignet ist. Aber so lernte ich Mazhar, Yasser, Jalal, Mohammad, Bazan und all die anderen kennen.
Schnell ging es um Briefe der Ausländerbehörde, die in ihrem Amtsdeutsch auch von uns nur schwer zu verstehen sind, und die erklärt werden mussten. Oder um eine Regelung, wer wann die Küche nutzen darf. Darum, dass jemand auf einmal kein Geld mehr bekommen hat. Oder dass sie gerne Fahrräder hätten, um ein wenig mobil zu sein.
Aber es ging auch darum, dass die Nachbarn, vor allem die Eltern des benachbarten Kindergartens, Ängste hatten. Hier haben wir das Gespräch mit dem Kindergarten gesucht, und auch die Stadt hat sich mit ihren zuständigen Stellen eingeschaltet und Gespräche geführt. Viele der Männer sind zwischen 20 und 30 Jahre alt. Sie möchten sich hier eine Zukunft aufbauen. Sie möchten studieren, etwas lernen und vor allem suchen sie Kontakt zur einheimischen Bevölkerung. Aber es gibt auch einige Familienväter. Sie haben die Flucht alleine unternommen, da sie nicht wussten, was sie erwartet. Sie haben ihre Frauen und Kinder in der Obhut ihrer Familien zurückgelassen und möchten sie nach ihrer Anerkennung als Kriegsflüchtlinge nachholen.
Anfang dieses Jahres konnte eine Gruppe von ca. 20 Personen in den Riedweg 20 umziehen. Hier bewohnen sie Zwei- bis Vierbett-Zimmer. Da wir bereits ein freundschaftliches Verhältnis aufgebaut hatten, bin ich als Hauspatin mit umgezogen. Im Laufe der Zeit verändern sich die Fragen. Mohammad möchte noch schneller Deutsch lernen und wartet sehnsüchtig auf seinen „Interview-Termin“ bei der Ausländerbehörde. Er ist seit September in Deutschland und konnte noch keinen Asylantrag stellen, da dies ausschließlich bei diesem Termin gemacht werden kann. Yasser ist bereits anerkannt und möchte seinen zwölfjährigen Sohn aus Idomeni nachholen. Der Junge sitzt dort mit seiner Tante und es müssen immer wieder Formulare ausgefüllt, Kopien gemacht und alles an die deutsche Botschaft in Athen geschickt werden.
Jalal, seinem Schwager geht es ebenso. Auch er bemüht sich seit Monaten, seine Familie nachzuholen. Bazan wartet auf seinen Aufenthaltstitel. Dann möchte er nach Duisburg zu seiner Verwandtschaft gehen. Ahmad ist mit seinem Neffen hier. Für ihn hat er die Vormundschaft übernommen. Wer einen Jugendlichen zu Hause hat (im Alter von 17 Jahren) kann sich vorstellen, dass dies nicht so einfach ist. Zumal in
einer Flüchtlingsunterkunft. Mohammed wartet auf seine AOK-Karte. Er benötigt dringend eine Operation, da er durch Granatsplitter verletzt wurde. Er wurde in Syrien operiert, und die Metallplatte, die er im Bein hat, hat sich entzündet. Leider wurde der Antrag – trotz Indikation des behandelnden Arztes – bisher durch die Krankenpflege in Friedberg nicht bearbeitet. Ebenso geht es Usama, auch er benötigt eine Operation, damit seine entzündete Lymphdrüse am Hals behandelt werden kann. Ahmad hat eine Anstellung gefunden und möchte wissen, ob er trotzdem den Integrationskurs machen muss. Ismail kommt aus einer Familie, in der bereits Vater und Großvater Anwälte waren. Auch er hat Jura studiert, doch zählt sein Abschluss in Deutschland nicht. Andere möchten ein Studium aufnehmen, doch die Deutschkenntnisse sind dafür noch nicht ausreichend. Mindestens B2 Level muss man sprechen, um an einer Universität angenommen zu werden.
Alles in allem wird man immer wieder mit neuen Fragen konfrontiert. Oft muss man sich selbst schlau machen, da in jedem Einzelfall etwas anderes zu berücksichtigen ist. Doch diese Menschen sind für mich jede Anstrengung wert. Sie sind immer höflich und hilfsbereit, und man spürt ihren Willen zur Integration.“ (Autorin: Angelika Ungerer, Hauspatin Flüchtlinge in Bad Vilbel)