Susanne Ebner, Lernpatin und Vereinsmitglied schildert im folgenden, wie sie die Anfänge des Sprachunterrichtes in der Bad Vilbeler Flüchtlingsunterkunft im Georg-Muth-Haus erlebte und welche Erfahrungen sie und engagierte Teamfrauen in den vergangenen Monaten sammelte:
„Die Flüchtlinge kommen, was wollen wir tun?“ fragten Michaela Lockl und ich uns im November 2015, als das Georg-Muth-Haus mit den ersten Flüchtlingen belegt wurde. Da Michaela Grundschullehrerin ist, entschieden wir uns dafür, Deutschunterricht zu geben, der seitdem regelmäßig dienstags stattfindet.
Die ersten Flüchtlinge waren Syrer, mit denen eine erste Verständigung auf Englisch ganz gut klappte, so dass bald ein reger Austausch stattfand. „Woher kommst du?“ „Welchen Weg hast du auf deiner Flucht genommen?“ „Was hast du zu Hause gearbeitet?“ „Ist deine Familie noch in Syrien?“ Wir hefteten Landkarten und Stadtpläne an die Wand und zeichneten die Moschee, den türkischen Lebensmittelladen oder den DRK-Kleiderladen ein. Hier fanden wir uns nun oft im Gespräch mit dem Finger auf der Karte wieder.
Als Schulzimmer musste das Foyer herhalten, was zwar etwas provisorisch war, aber den Vorteil hatte, dass immer gern jemand auf dem Weg in die Küche vorbeikam, sich dann spontan dazusetzte und an der Schulstunde teilnahm. Wir stellten eine Magnetwand aus eigenen Beständen auf, die leider schon bessere Tage gesehen hatte und fanden im Internet als Arbeitsmaterialien tolle praktische Themenpapiere zur Lebenswirklichkeit: Begrüßung, Familie, Einkaufen, Krankheit, Wohnen, öffentlicher Nahverkehr etc. in Deutsch und mit arabischer Übersetzung zum besseren Verstehen. Der Anfang war gemacht.
Wöchentlich nun kamen neue Flüchtlinge nach Bad Vilbel, aus Afghanistan, Iran, Irak und Algerien, so dass es im Kurs zuweilen leicht chaotisch in den verschiedensten Sprachen – Deutsch, Englisch, Französisch, Farsi und Paschto – zuging. Aber das nimmt man mit Humor und glücklicherweise gab es unsere Materialien auch in Farsi und Dari. Gegen Ende des Jahres war das Haus dann voll – 56 Männer aus fünf verschiedenen Nationen, das war manchmal nicht so einfach. Teilweise sammelten sich fast 20 Leute um den Tisch. Aber es machte Spaß und wir lernten die Leute beim Namen kennen!
Im Januar zogen die gut zwanzig syrischen Flüchtlinge schon wieder aus, in den Riedweg. Dafür kamen immer mehr Afghanen, die im Gegensatz zu den syrischen Flüchtlingen anfangs sehr scheu und unsicher waren, aber zunehmend Vertrauen fassten. Es herrschte über Wochen ein reges Kommen und Gehen im Haus – und auch im Kurs, weil die zumeist jungen Männer die deutsche Pünktlichkeit nicht kannten und vielleicht auch einen anderen Zeitbegriff mitbrachten.
Auch das nimmt man am besten mit einem Augenzwinkern. Wir haben uns über jeden neuen Teilnehmer gefreut und ihn offen begrüßt. „Guten Tag, Frau Susanne, wie geht es Ihnen?“ kam es dann freundlich und respektvoll zurück.
Da der Verein „Flüchtlingshilfe Bad Vilbel e.V“. bald Deutschkurse für Flüchtlinge aus den Ländern mit hoher Anerkennungsquote – Syrien, Iran und Irak – vermitteln konnte, sahen wir unsere Aufgabe zunehmend darin, uns den Flüchtlingen aus Afghanistan zu widmen, ihnen Mut zu machen und die Angst vor der Sprache zu nehmen, damit sie sich die „richtigen“ Sprachkurse zutrauten. Wie wir lernten, sind nämlich bis zu 50% der Afghanen nicht alphabetisiert und viele sind zu Hause kaum zur Schule gegangen, sondern haben von Kindesbeinen an gearbeitet. Da ist schon die Konzentration auf das Lernen eine große Anstrengung und auch die Strapazen und schlimmen Erlebnisse der Flucht mussten erst einmal verarbeitet werden. Auch merkten wir, dass die afghanischen Flüchtlinge in der Rangordnung unter den Flüchtlinge eher unten stehen. So musste im Georg-Muth-Haus so mancher Konflikt zwischen den verschiedenen Nationen geschlichtet werden bis alle verstanden hatten: „Hier in Deutschland sind alle Menschen gleich“!
Wir haben dann also mit allen Mitteln versucht, die Neugierde auf und den Spaß an der neuen Sprache zu wecken. Es wurde ermuntert, gelobt, viel gelacht, mit Händen und Füßen erklärt und pantomimisch dargestellt. Schuhe wurden ausgezogen und Zehen gezeigt, es wurde gehopst und gesprungen, sich auf den Stuhl oder Boden gelegt, ein Werkzeugkasten aus- und wieder eingepackt, mit einem Fußball Pässe gespielt und gegrätscht, Fahrräder auseinander genommen sowie Verkehrszeichen geübt. Alle Bereiche des täglichen Lebens kamen dran, es wurde konjugiert was das Zeug hielt und die Befindlichkeit abgefragt. Anfangs hieß es: „ich bin krank“ oder „ich bin müde“, später kam immer öfter ein „danke, es geht mir gut“.
Dann kam unsere Freundin Mirjam Strahmann dazu, Grundschullehrerin wie Michaela, so dass es jetzt im Dreierteam noch mehr Möglichkeiten gibt, auf die Schüler einzugehen. Da wird auch schon einmal ein besonders hartnäckiger Fall im Einzelunterricht alphabetisiert. Es ist schön, alle Bewohner mit Namen zu kennen und auch mit vielen eine Geschichte zu verbinden. Einige kennen wir mittlerweile schon sehr gut und wissen um besondere Fähigkeiten oder Ehrgeiz und so hat sich aus dem Deutschkurs heraus schon das ein oder andere tolle Projekt ergeben. Am schönsten ist es aber zu sehen, dass es bereits acht junge Männer mit Berufserfahrung im Handwerk oder bei der Polizei geschafft haben, in ein Weiterbildungsprogramm des Arbeitsamtes übernommen zu werden.
Es geht voran und wenn alles klappt, wird es im Herbst mehrere neue, vom Land Hessen finanzierte, Intensivsprachkurse geben, in denen hoffentlich alle afghanischen Flüchtlinge entsprechend ihrem Sprachlevel untergebracht werden können.