„Neulich hat mich jemand als Flüchtling beschimpft, ist das nicht auch eine Diskriminierung?“ „Ich selbst und Freunde von mir sind schon oft bei den Behörden schlecht behandelt worden. Was ist da mit der Menschenwürde.“ Die Aussagen und Fragen der Zuhörer machen deutlich, dass sie sehr wohl verstanden haben, dass zwischen Anspruch und Wirklichkeit auch hinsichtlich des Grundgesetzes (GG) oft große Lücken vorhanden sind.
Es ist Donnerstagabend. Der Verein Flüchtlingshilfe hat zu einem Informationsabend über das GG für Arabisch- und Deutschsprechende in das Haus der Begegnung eingeladen.
Über 50 Personen sind gekommen, davon mehr als 40 Geflüchtete, die meisten davon Syrer. Hans-Georg Pick, ehemaliger Vorsitzender Richter am Hessischen Landesarbeitsgericht, führt in das GG ein und widmet seine Ausführungen vor allem den Artikeln 3 (Gleichheit vor dem Gesetz) und 4 (Glaubens- und Bekenntnisfreiheit). Semaan Semaan vom Vorstand des Vereins fungiert als Initiator und Organisator der Veranstaltung und übernimmt das Dolmetschen ins Arabische und umgekehrt. Peter Basfeld leitet die sich anschließende Diskussion.
Das GG, so Pick, basiert auf den furchtbaren Erfahrungen der Zeit des Nationalsozialismus und gilt für alle Menschen in unserem Land. Nie wieder soll es in Deutschland dazu kommen, dass eine Weltanschauung oder Religion die Rechte anderer, einzelner oder die von Gruppen, einschränkt und unterdrückt. Das GG betont die Rechte des Bürgers gegenüber dem Staat, seine Würde und Gleichheit vor dem Gesetz und seinen Anspruch auf Schutz vor Diskriminierung und Ungleichbehandlung. Es steht über allen anderen Gesetzen und auch über der Regierung. Neue Gesetze können nur erlassen werden, wenn sie mit dem GG konform gehen. Darüber wacht das Bundesverfassungsgericht, an das sich jeder wenden kann, wenn er sich in seinen Grundrechten beeinträchtigt fühlt.
Über die Rechte des GG kann sich auch keine Religion oder Weltanschauung hinwegsetzen. Es ist Richter Pick wichtig, deutlich zu machen, dass weder die Bibel noch die Scharia und der Koran und auch keine davon abgeleitete Tradition wie z.B. die Autorität eines männlichen Familienoberhauptes über dem GG stehen. Männer und Frauen, Deutsche und Ausländer sind vor dem Gesetz gleich, keine Religion darf bevorzugt werden, staatliche Einrichtungen wie z.B. Schulen sind der Neutralität verpflichtet und müssen die Schülerinnen und Schüler vor Beeinflussung schützen. Deshalb soll auf religiös zu deutende Symbole wie das Kopftuch oder ein Kruzifix verzichtet werden.
Das GG betont die Freiheit des einzelnen und seine Rechte auf Schutz vor jeglicher Form von Diskriminierung und Ausgrenzung. Über diese Stellung des GG wurde im Anschluss an den Vortrag ausführlich und teilweise emotional von allen Teilnehmern diskutiert.
Dabei ging es zunächst noch einmal um eine genauere Erläuterung dafür, warum Lehrerinnen bei der Ausübung ihres Berufes kein Kopftuch tragen dürfen. Den meisten Raum aber nahmen die Negativerfahrungen ein, die die Flüchtlinge im Alltag, bei Behördengängen und der Arbeits- und Wohnungssuche gemacht haben und die sie als diskriminierend und auch z.T. rassistisch verstanden. Dazu wurde von anderen angemerkt, dass es im Zwischenmenschlichen oft nicht leicht zu entscheiden ist, ob es sich um Beleidigung, schlechte Laune oder tatsächlich Diskriminierung handelt. Aber auch deutsche Helfer berichten davon, dass z.B. Wohnungsbesitzer oft schnell von ihrem Angebot Abstand nehmen, wenn sie erfahren, dass die Wohnungssuchenden Flüchtlinge sind.
Solchen diskriminierenden Verstößen auch gerichtlich nachzugehen, so Richter Pick, sei sehr schwierig, da der Nachweis oft schwer zu erbringen sei. Das GG sei sicher ein Ideal und es liege an uns allen, seinen Inhalten Geltung zu verschaffen. Dass oft auch politische Entscheidungen zu Diskriminierungen führen können, zeigte die letzte Meldung. Ein Algerier, der seit einiger Zeit einer Arbeit nachging, berichtet, er sei mit seinem Chef zur Ausländerbehörde gefahren, um seine Papiere verlängern zu lassen. Als er sie mit einer 6-monatigen Verlängerung zurück bekam, fehlte die Arbeitserlaubnis. Algerien ist inzwischen sicheres Drittland geworden. Wer aus Algerien kommt, soll nicht durch eine Arbeitsstelle zu einer Aufenthaltsverlängerung ermutigt werden. Man könnte auch sagen: Weil du Algerier bist, bekommst du keine Arbeit, und das wäre eine Diskriminierung, ein Verstoß GG Art.3, 3.
Einig waren sich am Ende alle, dass sich diese Veranstaltung gelohnt hatte und eine Wiederholung und Fortsetzung verdiente.
Autor: Hartmuth Schröder