„Wo ist der Junge mit der roten Badehose?“ mit dieser Frage bei der Betrachtung eines „Wimmelbuches“ eröffnet Lorenz Rothe, Mitglied im Flüchtlingshilfeverein, des Öfteren seine Lern -und Gesprächsrunde mit Schüler*innen aus der Intensivklasse (Intensiver Deutschunterricht) in der John-F.-Kennedy-Schule. In diesen sogenannten DAZ (Deutsch als Fremdsprache) -Klassen lernen Flüchtlingskinder die deutsche Sprache und werden dann schrittweise in eine Regelklasse überführt. Dieses Lernumfeld in speziellen Klassen ist auch auf allen Schulniveaus in Bad Vilbel verankert. Fördermaßnahmen gibt es an allen Vilbeler Schulen, bei einigen Schulen im Primar- und bei allen Schulen im Sekundarschulbereich gibt es mindestens eine Intensivklasse. In Hessen werden inzwischen ca. 35 000 Schülerinnen und Schüler in ca. 2000 Intensivklassen betreut.
Aktuell sind es zwei Vereinsmitglieder, die seit einem Jahr wöchentlich in einer DAZ-Klasse ehrenamtlich aushelfen. Für Lorenz Rothe begann diese Tätigkeit im Ruhestand. Er schafft es in mehreren Bad Vilbeler Schulen in verschiedenen Klassen die dortigen Lehrkräfte in der Betreuung von geflüchteten Kindern zu unterstützen. Sei es in der Vorschule, in der Grundschule oder in der Förderstufe, die Herausforderungen sind groß. Betroffene Schülerinnen und Schüler, die zusätzliche Betreuung benötigen, kommen aus der Ukraine oder gehören zur Gruppe der Weltflüchtlinge. Sie bringen unterschiedliche Voraussetzungen mit, kommen aus den unterschiedlichsten Herkunftsländern und weisen oftmals große soziokulturelle Unterschiede auf. Ihre Deutschkenntnisse sind oftmals kaum vergleichbar, so wie auch die Lernmotivation, Lernbereitschaft oder die Aufmerksamkeitsspanne. Damit unterscheiden sie sich nicht von den Kindern deutscher Herkunft.
Alle Lehrkräfte versuchen tagtäglich diese jungen Menschen an die deutsche Sprache und damit möglichst schnell an die sogenannte Regelklasse im deutschen Schulwesen heranzuführen. „Ich habe allerhöchste Hochachtung vor den Lehrerinnen und Lehrern“ meint Herr Rothe. „Sie arbeiten mit Kindern und Jugendlichen, bei denen man nur ahnen kann, unter welchen oft anstrengenden und lebensgefährlichen Umständen einer Flucht sie nach Deutschland gekommen sind und nun die deutsche Sprache von Grund auf lernen möchten. Eigentlich sind die Lehrkräfte wirklich „Helden des Alltags“, meint er wertschätzend.
Zum dem Kreis der von Lorenz Rothe betreuten Kindern gehörte beispielsweise ein Schüler aus dem Iran. Er war so wissbegierig, dass für ihn selbst in den Schulferien keine lernfreie Zeit war und er sich gerne mit seinem ehrenamtlichen Unterstützer traf. Bei einer jungen Ukrainerin und einer jungen Marokkanerin zeigte sich auf vielfältige Weise der Willen Schullernstoff zu verinnerlichen und sprachlich umzusetzen. Darüber hinaus bot er mittels Lesepatenschaft für 2. Und 3. Klässler Unterstützung und kümmerte sich um einen autistischen Vorschüler. Aber es gibt auch andere Beispiele wie dem von einem jungen Ukrainer, der selbsteinschätzend meint: „Sprech‘ ich gut Deutsch, will ich nix zu dir kommen“.
Angesprochen auf sein Lernvorgehen/-methode berichtet Herr Rothe „Ich bekomme von der Lehrerin 2 – 3 Schülerinnen und Schüler zugeteilt mit der Aufgabe, gewisse Teilbereiche des regulären Deutschunterrichtes zu wiederholen oder ergänzend zu erarbeiten. Dies kann mit den üblichen Schulbüchern erfolgen oder auch, weil die normalen Schulbücher mir nicht hilfreich erscheinen, auch mal die Arbeit mit einfachen Bilderbüchern oder Bücher für 1. oder 2. Klasse bedeuten.“ Gerne benutzt er die bekannten „Wimmelbücher“. Mittels dieser großen Bilderbücher mit vielen Details wird die Umgebung eines Zoos, einer Baustelle, Urlaub am Meer oder in den Bergen detailreich dargestellt und regt so zum Sprechen an, um einen Basiswortschatz zu üben oder auszubauen. Idealerweise wird das Niveau ganzer Satzkonstruktionen erreicht, je nach Lernbereitschaft, dem Willen und der Motivation der Kinder. Es ist eine besondere Herausforderung auch für die ehrenamtliche Lernunterstützung, sich immer wieder auf neue Situationen einzustellen.
Herr Rothe bemerkt: „Die Lehrerin, die ich mit meinem Ehrenamt unterstützt, geht ihrer beruflichen Tätigkeit mit einem bewundernswerten Engagement nach!“ Und umgekehrt wertschätzt die Klassenlehrerein die zuverlässige und engagierte Hilfe von ihm. Der Schulleiter der John-F. Kennedy Schule, Markus Maienschein, jedenfalls bedankt sich offen und herzlich für die Unterstützung des Vereins und seiner engagierten Mitglieder.
Das Vorstandsmitglied Günter Bodirsky koordiniert die Schuleinsätze der Ehrenamtler. Er berichtet: „Nach den Osterferien beginnt die Kooperation mit dem Georg-Büchner-Gymnasium. Auch hier hoffen wir auf einen guten Start für alle Betroffenen. Übrigens: Wir sind immer offen für Interessierte, die sich – unabhängig von einer Flüchtlingsvereins-mitgliedschaft – ehrenamtlich in diesem Bereich engagieren wollen.“