Können Frauen Fahrrad fahren?
Ob Frauen Fahrrad fahren können – diese Frage erscheint auf den ersten Blick absurd. Warum sollten sie es nicht können? Denkt man weiter darüber nach, wird aber klar: Gerade Frauen, die aus anderen Weltgegenden nach Deutschland gekommen sind, ist das Fahrradfahren fremd. Viele durften es in ihren Kulturen als Mädchen nicht lernen. Und so haben sie auch nach ihrer Flucht nach Europa nicht die nötige Voraussetzung, sich eigenständig und frei in einem größeren Radius zu bewegen.
Aus dieser Beobachtung heraus erwuchs bei den ehrenamtlich Engagierten im Bad Vilbeler Verein für Flüchtlingshilfe der Plan, einen Fahrrad-Kurs speziell für Flüchtlingsfrauen anzubieten. Möglich wurde das durch den Zonta-Club, in dem sich Unternehmerinnen aus Bad Vilbel zusammengeschlossen haben, um Projekte für Mädchen und Frauen zu unterstützen. Der Club finanziert die Teilnahme von acht Damen, die nun in einem Kurs des ADFC das Radeln lernen. Der Kurs hat am 8. August begonnen und dauert zwei Wochen.
Täglich treffen sich die Frauen – junge Erwachsene, aber auch eine Großmutter ist dabei – auf dem Alten Flugplatz Bonames. Hier hat die Kursleiterin Christine Rhodes die Übungsgeräte gelagert, hier können die Frauen auf freien Plätzen abseits von Verkehr und neugierigen Blicken in Ruhe üben. „Wichtig ist, dass man sich nicht schämt, auch im fortgeschrittenen Alter noch etwas lernen zu müssen“, beschreibt sie die Grundlage ihrer Kurse. Nach ein paar einführenden Worten übergibt sie je zwei Frauen einen großen Roller, auf dem zunächst ein paar Gleichgewichtsübungen durchgeführt werden. Und es dauert auch gar nicht lange, bis die Damen mit den Rollern mehr oder weniger souverän einen kleinen Parcours abfahren, den Frau Rhodes für sie vorbereitet hat.
„Es ist herrlich zu sehen, wie begeistert alle mit dabei sind“, bemerkt Ingo Schütz, Pfarrer in der Evangelischen Christuskirchengemeinde und Koordinator des Handlungsfeldes „Fahrräder“ im Bad Vilbeler Verein für Flüchtlingshilfe. „Dieses Leuchten in ihren Augen zeigt: Hier geht es um mehr als die Kunst des Fahrradfahrens. Hier geht es auch um Freiheit und Teilhabe.“ Gemeinsam mit anderen Engagierten hat Schütz den Traum von einem Fahrradkurs für Flüchtlingsfrauen schon lange gehegt und freut sich, nun die Umsetzung des Traumes erleben und begleiten zu können.
Die Arbeit in diesem Bereich geht freilich noch weiter: „Wenn die Frauen nach zwei Wochen sicher Radfahren können, wollen wir ihnen gerne auch Räder vermitteln können. Dazu sind wir auf Fahrradspenden angewiesen.“ Im Heizungskeller der Christuskirche, so erläutert er, sammle man bereits seit zwei Jahren Spendenräder, und der Bedarf sei weiterhin gegeben. Wer diese Arbeit unterstützen möchte, kann sich gerne an ihn wenden unter fahrraeder@fhbv.de – auch dann, wenn jemand sich beim Reparieren von Rädern oder in anderen Bereichen des Themas engagieren will.
Die Frauen jedenfalls sind begeistert von der Aussicht, nach Ablauf der zwei Kurswochen souverän radeln zu können. Und Spaß macht ihnen der Kurs obendrein. Vielleicht ist es der Geschmack und Freiheit und Selbstbestimmung, der sie am ersten Tag zunehmend fröhlich blicken lässt – ein Geschmack, der gewiss nicht so schnell vergehen wird.
Ein Beitrag von Ingo Schütz